2021-02 E-BRAiN Newsletter - Innovation: ja – aber wie misst man Patientenpräfenzen bezüglich neuer Behandlungsformen?

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit unserem zweiten Newsletter im Jahr 2021, möchten wir einen Einblick in die Arbeit des Teams an der Hochschule Neubrandenburg im Bereich Gesundheitsökonomie und Medizinmanagement unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Axel Mühlbacher geben und zeigen, wie wichtig bei der Implementierung innovativer Rehabilitationsverfahren die Frage nach der Akzeptanz und den Präferenzen seitens der Betroffenen, den klinischen Effekten sowie den Kosten und damit der Relevanz für eine zukünftige medizinische Versorgung ist.

Mittels vorangestellten systematischen Literaturrecherchen und qualitativen Interviews wird eine quantitative Befragung von Schlaganfall-Betroffenen vorbereitet. Die Studie zielt auf die Analyse von Akzeptanzkriterien und Patientenpräferenzen.

Warum Akzeptanz- und Präferenzstudien?

Die Knappheit von Ressourcen bedingt die Diskussion über den Einsatz bzw. die Allokation von innovativen Gesundheitsleistungen wie z. B. einem humanoiden Roboter als Therapie-Assistenz. Im Mittelpunkt der Diskussion über die Einführung neuartiger Interventionen sollte der Patientennutzen stehen. Alternativen bzw. Interventionen mit einem höheren Patientennutzen sollte eine größere Priorität eingeräumt werden. Für die Entscheidung für oder gegen eine Alternative muss eine Abwägung von Risiko bzw. Schaden und Nutzen für die Patienten stattfinden. Die Entscheidungen über die Auswahl von Gesundheitsleistungen tragen in Deutschland Ärzte, Kostenträger oder Institutionen der Selbstverwaltung. Entscheidungen sollten den patientenrelevanten Nutzen als zentrale Komponente haben und sich an den Bedürfnissen, Erwartungen und Prioritäten der Gesellschaft und der Patienten orientieren.

Gesundheitsleistungen müssen als erstattungsfähig gelten, um in die Versorgung integriert und in den Leistungskatalog aufgenommen zu werden. Aus diesem Grund sind Bewertung und Evaluation zur Verfügung stehenden Alternativen für Versorgungsleistungen notwendig. Die Integration einer Leistung in das deutsche Gesundheitssystem findet statt, sobald die Kosten für die Leistung als akzeptabel gelten. Das heißt, die Kosten oder der Preis einer Leistung müssen in Bezug auf Patientennutzen verhältnismäßig sein. Die primäre Frage bei der Integration von Gesundheitsleistungen ist, was Patienten davon haben. Aus diesem Grund stehen die Patientenpräferenzen als Ausdruck des Patientennutzens im Fokus dieser Betrachtungen.

Eine therapeutische Leistung, die die Fähigkeit hat, die Bedürfnisse der Patienten zu befriedigen, hat einen hohen Patientennutzen. Die Ermittlung des Nutzens erfolgt über die Analyse der Auswahl zwischen alternativen Gesundheitszuständen, Versorgungsleistungen und Gesundheitstechnologien durch die Patienten. Wird eine Alternative gegenüber einer anderen bevorzugt, heißt das, dass diese Alternative präferiert wird und für den Patienten einen höheren Nutzen darstellt. Präferenzen bilden die subjektive Bewertung von Alternativen durch die Abwägung verschiedener Entscheidungskriterien ab.

Wenn Patienten eine Versorgungsleistung akzeptieren, nachdem die Therapie nach ihren Präferenzen gestaltet wurde, kann von einer besseren Adhärenz ausgegangen werden. Mittelfristig wird die Patientenorientierung gestärkt und das Patientenverständnis verbessert. Langfristig besteht die Möglichkeit, die klinischen Effekte in Bezug auf Morbidität und Mortalität zu verbessern und bessere Behandlungsergebnisse zu erreichen.

Wie werden Akzeptanz- und Präferenzstudien durchgeführt?

Das „Discrete Choice Experiment“ ist eine etablierte und anerkannte wissenschaftliche Methode zur Ermittlung von Präferenzen innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens.

Eine Studie zur Unterstützung von Entscheidungen im Zusammenhang mit der Entwicklung, Herstellung, Verwendung oder Modifizierung von Produkten oder Gesundheitsdienstleistungen erfordert zunächst spezifische Informationen über den Forschungsgegenstand. Der erste Schritt umfasst das Sammeln von Informationen über den Forschungsgegenstand, den Entscheidungsrahmen, den Umfang der Studie sowie die Festlegung der Studienpopulation.

Wahlexperimente sollten so nah wie möglich an reale Entscheidungen angelehnt sein. Literaturrecherchen, Einzelinterviews und Fokusgruppen sind daher wichtig, um ein besseres Verständnis über die Forschungsfrage zu erhalten und geeignete Eigenschaften für die Zusammenstellung von Alternativen zu identifizieren.

 

Nach dieser Spezifizierung ist es notwendig, das Studienobjekt in entscheidungsrelevante Attribute und Ebenen zu zerlegen („Decomposition“). Die Theorie der Präferenzmethoden basiert auf der Annahme, dass Produkte oder Dienstleistungen anhand ihrer Eigenschaften (Attribute und „Levels“) beschrieben und anhand ihrer Eigenschaftsausprägungen  zerlegt (dekomponiert) werden können. Für die Bestimmung von Attributen und „Levels“ (Ausprägungen) gibt es unterschiedliche quantitative und qualitative Methoden.

Ein hypothetisch konstruiertes Entscheidungsmodell beinhaltet die Attribute, die in Recherchen und Vorstudien als entscheidungsrelevant analysiert worden sind.

Die in der statistischen Analyse ermittelten Präferenzen können durch beobachtbare oder nicht beobachtbare Variationen im Entscheidungskontext beeinflusst werden. Neben den dargestellten Merkmalen der Auswahlalternativen können auch persönliche Merkmale der Befragten einschließlich Erfahrung, Wissen, Einstellungen, Wahrnehmungen, Interpretationen und Motive sowie weitere personenbezogenen Faktoren eine wichtige Rolle im Entscheidungsprozess spielen. Das muss bei der Fragebogenentwicklung und der Erstellung des experimentellen Designs (Versuchsplanung) berücksichtigt werden.

Die Versuchsplanung bezieht sich darauf, wie Attribute und Levels zu Alternativen und Wahlszenarien kombiniert werden, die die Wahlaufgaben bzw. Entscheidungsszenarien darstellen. Das experimentelle Design ist ein systematischer Plan, der sicherstellt, dass alle Attribute und Levels in den Wahlaufgaben sinnvoll kombiniert werden und genügend statistisches Material zur Schätzung der Parameter des Nutzenmodells liefern.

Verschiedene Methoden können im Folgenden zur Datensammlung („Data Collection“) angewendet werden. Anschließend erfolgt die Auswertung der Daten („Data Analysis“). Die Auswertung erfolgt vor dem Hintergrund die zugrundeliegende Nutzenfunktion („Utility Function“) eines Produktes oder einer Dienstleistung zu identifizieren.

Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht der verschiedenen Phasen und einzelnen Schritte bei der Durchführung einer Präferenzstudie sowie die jeweiligen zu erwartenden Zwischenergebnisse.

Tabelle 1 - Phasen einer Präferenzstudie

Studiendesign

Arbeitsschritte

Zwischenergebnisse

A. Studiendesign

 
  • Problem- und Fragestellung
  • Identifikation des Entscheidungsmodells
  • Spezifizierung der Studienpopulation, Stichprobe und Stichprobengröße
 
 
  • Konkretisierung des Entscheidungsproblems
  • Bestimmung der Eigenschaften und Merkmale
  • Differenzierende Merkmale: Einschluss- und Ausschlusskriterien, Parameter zur Kontrolle der Heterogenität
 

B. Datensammlung

 
  • Experimentelles Design
  • Design der Wahlalternativen und Erhebung der personenspezifischen Variablen
  • Sammlung der Präferenzdaten
 
 
  • Spezifizierung der verfügbaren Alternativen
  • Gestaltung der Wahlentscheidungen und Kontrolle der Homogenität innerhalb der Studienpopulation
  • Rekrutierung und Befragung von Teilnehmern
 

C. Datenevaluation

 
  • Kodierung
  • Statistisches Modell
 
 
  • Datenmodellierung
  • Auswahl des statistischen Modells
 

D. Dateninterpretation

 
  • Präsentation der Ergebnisse
  • Limitationen und Kritik
 
 
  • Darstellung der Koeffizienten und Vergleich der Eigenschaften und Merkmale
  • Darstellung der Ergebnisse, Heterogenität der Skalen, Varianz der probabilistischen Größe
 

Im nächsten Newsletter aus Neubrandenburg (voraussichtlich im Frühsommer des Jahres) möchte das Team, Prof. Dr. Axel Mühlbacher, Frau Ann-Kathrin Fischer, Frau Christin Juhnke und Herr Andrew Sadler die Ergebnisse der ersten Forschungsschritte präsentieren und einen Einblick in die Auswertung der durchgeführten Einzelinterviews mit Schlaganfallpatienten sowie Experten der Neurorehabilitation geben.

Für weiterführende Informationen zu Präferenzstudien und Wahlexperimenten empfehlen wir folgende Literatur:

Craig, Benjamin, Emily Lancsar, Axel Mühlbacher, Derek Brown, and Jan Ostermann. "Health Preference Research: An Overview." The patient 10 (06/08 2017). http://dx.doi.org/10.1007/s40271-017-0253-9.

Mühlbacher, Axel and F. Johnson. "Choice Experiments to Quantify Preferences for Health and Healthcare: State of the Practice." Applied Health Economics and Health Policy 14 (03/18 2016). http://dx.doi.org/10.1007/s40258-016-0232-7.

Mühlbacher, Axel, Anika Rädke, Peter Zweifel, and F. Johnson. "Experimental Measurement of Preferences in Health and Healthcare Using Best-Worst Scaling: An Overview." Health Economics Review 6 (01/08 2016). http://dx.doi.org/10.1186/s13561-015-0079-x.

Mühlbacher, Axel, Andrew Sadler, Björn Lamprecht, and Christin Juhnke. "Patient Preferences in the Treatment of Hemophilia A: A Best–Worst Scaling Case 3 Analysis." Value in Health 23 (07/01 2020). http://dx.doi.org/10.1016/j.jval.2020.02.013.

Ein Forschungsverbund mit Beteiligung der Universität und Universitätsmedizin Greifswald, Universität Rostock und Hochschule Neubrandenburg

Verbund-Koordinator

Prof. Dr. med. Thomas Platz
Universitätsmedizin Greifswald
AG Neurorehabilitation - E-BRAiN
Fleischmannstraße 44
17475 Greifswald

Ansprechpartner

Team der AG Neurorehabilitation
E-MAil: e-brain@med.uni-greifswald.de
Telefon: 03834 86-6966
Fax: 03834 86-6902

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