2022-03 E-BRAiN Newsletter – Akzeptanz als latentes Konstrukt

Aktuelle Forschungsinfo aus dem Team der Hochschule Neubrandenburg im Bereich Gesundheitsökonomie und Medizinmanagement unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Axel Mühlbacher

 

Akzeptanz als Voraussetzung für nutzen- und nutzerorientierte Gestaltung von Interventionen

Digitale Technologien, wie der humanoide Roboter Pepper aus dem E-BRAiN-Projekt, unterstützen Patienten*innen verstärkt bei der Behandlung von Erkrankungen und eröffnen neue Möglichkeiten für Patienten*innen und Anbieter*innen. Die Werttreiber digitaler Technologien sind weitgehend unbekannt, insbesondere aus Sicht der Patienten*innen. Die Patienten*innen werden zunehmend mit einer Vielzahl unbekannter Technologien konfrontiert. Dementsprechend gibt es nur wenige Erkenntnisse über die Merkmale der Patientenakzeptanz hinsichtlich innovativer digitaler Technologien bei gesundheitsbezogenen Interventionen.

Akzeptanz kann durch die Bewertung von Einstellung und Handlung von Patienten*innen in Bezug auf Interventionsprozesse erreicht werden. Selbstwirksamkeit, Vertrauen, Engagement (Handeln), Compliance, Motivation, Erwartungen, Erfahrung und (Gesundheits-)Kompetenz sind Faktoren, die in Akzeptanzmodellen untersucht wurden. Eine wesentliche Voraussetzung für eine nutzen- und nutzerorientierte Transformation digitaler Interventionen, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren, ist die Identifikation wichtiger Akzeptanzfaktoren.

Der Mangel an Evidenz zu Faktoren der Patientenakzeptanz kann zu Barrieren für nutzen- und nutzerorientierte Entscheidungen und Entwicklungen für innovative digitale Technologien führen. Die Akzeptanzforschung arbeitet mit Erklärungsmodellen, Analysen von Einflussfaktoren und Untersuchungen zu theoretischen Zusammenhängen an der Klärung der Evidenz zur Patientenakzeptanz.

Die Akzeptanz wird in der Literatur in verschiedene Dimensionen unterteilt. Dazu gehören zum einen die Dimensionen der Einstellung, subjektive Normen, Handlung und Nutzung und zum anderen die Dimensionen des Akzeptanzsubjektes, Akzeptanzobjektes und Akzeptanzkontextes unterteilen.

Akzeptanz in Bezug auf die Einstellung erfolgt über eine erste Bewertung. Die Bewertung kann unter anderem durch gemachte Erfahrungen oder vorhandene Erwartungen beeinflusst werden. Einstellungsakzeptanz ist die positive Bewertung. Subjektive Normen sind Teil der Einstellung und beeinflussen die Akzeptanz ebenfalls. Handlungsakzeptanz kann anhand des Verhaltens bzw. durch Handlungen von Patienten*innen interpretiert werden. Die Handlungsakzeptanz kann verschiedene Aktivitäten umfassen wie z. B. kaufen, verwenden, befürworten, unterstützen oder implementieren. Die vollständige Akzeptanz führt zu einem langfristigen Engagement. Das bedeutet, dass Patienten*innen sich langfristig für eine Intervention entscheiden würden und aktiv an dem Interventionsprozess teilnehmen. Das Akzeptanzsubjekt ist das bewertende und handelnde Individuum bzw. der*die Patient*in. Als Akzeptanzsubjekt können Einzelpersonen, Gruppen oder eine ganze Gesellschaft betrachtet werden. Das Akzeptanzobjekt wird durch das Akzeptanzsubjekt bewertet. Der Akzeptanzkontext ist der Rahmen, in dem sich die Bewertung und das Verhalten des Akzeptanzsubjekts in Bezug auf das Akzeptanzobjekt abspielen.

 

Warum ist die Bewertung der Akzeptanz für das E-BRAiN-Projekt wichtig?

Der humaniode Roboter Pepper wird im E-BRAiN-Projekt eingesetzt, um Schlaganfall-Betroffene innerhalb einer rehabilitativen Intervention zu begleiten und anzuleiten. Der Roboter ist eine für die Betroffenen noch unbekannte Technologie. Die Betroffenen haben meist noch keine Erfahrungen mit derartigen Technologien. Betroffene können dennoch Erwartungen an die digitalisierte Intervention stellen. Die Erfüllung oder das Übertreffen der Erwartungen kann sich wiederum positiv auf die Bewertung der gesamten Intervention auswirken. Eine aktive Handlung, also das Mitmachen der Patienten*innen, ist die Voraussetzung für Engagement. Durch das Engagement von Patienten*innen können Interventionsziele bzw. klinische Effekte erreicht werden. Der Wert einer Intervention ist davon abhängig, welche klinischen Effekte erzielt werden können, wie Patienten*innen diese für sich bewerten und welchen Aufwand sie mit einer Intervention verbinden. Innerhalb der Roboter-assistierten Intervention im E-BRAiN-Projekt ist die Akzeptanz der Schlaganfall-Betroffenen eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung von klinischen Effekten. Zudem ist es wichtig herauszufinden, welche Eigenschaften für die Betroffenen einen Aufwand darstellen und gegebenenfalls zu einer negativen Akzeptanz und damit zur Ablehnung einer Intervention führen. Die Ermittlung von Patientenpräferenzen gibt Aufschluss über die Bedeutung bestimmter Eigenschaften einer Intervention. Im E-BRAiN-Projekt werden auf der einen Seite die Bedeutung technischer Aspekte und auf der anderen Seite die Bedeutung klinischer Effekte ermittelt. Somit soll ein Bild darüber entstehen, welche Eigenschaften die Patientenakzeptanz positiv oder negativ beeinflussen.

 

Wie werden Patientenpräferenzen im E-BRAiN-Projekt erhoben?

Im E-BRAiN-Projekt werden die Präferenzen der Patienten*innen über ein sogenanntes Discrete Choice Experiment für die technischen Aspekte und für die klinischen Effekte über drei unterschiedliche Formen des Best-Worst-Scalings (Case I, Case II und Case III) ermittelt (siehe Abbildungen 1-4). In einem Discrete Choice Experiment werden Patienten*innen bestimmte Alternativen von Interventionen präsentiert, die die Eigenschaften der Intervention widerspiegeln. Die Patienten*innen wählen zwischen den alternativen Interventionen die für sie präferierte Option aus. Durch die sich wiederholenden Wahlaufgaben können Koeffizienten gemessen werden, die die Präferenz für die Ausprägung eines bestimmten Merkmals wiedergeben. Sogenannte Latent-Class-Analysen werden zusätzlich durchgeführt, um heterogene Patientengruppen zu ermitteln und die Präferenzen je nach Patientengruppe zu analysieren.

Die Methode des Best-Worst Scaling ist eine Sonderform des Discrete Choice Experiments. Bei der Anwendung des Best-Worst Scaling können drei grundsätzliche Formen (Cases) unterschieden werden. Alle drei Arten des Best-Worst Scaling haben gemeinsam, dass die Befragten nicht nur zwischen zwei Alternativen/Elementen wählen (wie es bei einem Paarvergleich der Fall ist), sondern jeweils das „beste“ und das „schlechteste“ Merkmal oder Therapiekonzept aus einem Set von mindestens drei möglichen Entscheidungsgegenständen aussuchen. Durch die wiederholte Wahlentscheidung in mehreren Wahlaufgaben und mit Hilfe statistischer Verfahren können auch hierbei – wie im Discrete Choice Experiment Koeffizienten abgeleitet werden. Die Modellierung der Wahl der besten Eigenschaft, Ausprägung oder Alternative bzw. der schlechtesten und die Schätzung der Wahlparameter erfolgt zumeist mit Hilfe des das sog. Multinominal Logit Modells. Daneben können ebenso Latent Class Analysen eingesetzt werden.

Abbildung  1 - Wahlaufgabe aus dem Discrete Choice Experiment

Abbildung 2 - Wahlaufgabe aus dem Best-Worst-Scaling Case I

Abbildung 3 - Wahlaufgabe aus dem Best-Worst-Scaling Case II

Abbildung 4 - Wahlaufgabe aus dem Best-Worst-Scaling Case III

 

Relevanz von Health Preference Research (HPR) und Patient Preference Information (PPI)

Für die Sammlung und Analyse klinischer Nachweise zur Quantifizierung der Wirksamkeit von Behandlungen und möglicher Schäden gibt es fortgeschrittene Methoden. Diese Methoden werden in der Regel als Grundlage für regulatorische und gesundheitspolitische Entscheidungen verwendet.

Nach der Bewertung der Qualität der klinischen Evidenz müssen die Entscheidungsträger*innen jedoch oft schwierige Entscheidungen über Zugang, Vergütung und Nutzung treffen. Diese Entscheidungen erfordern nicht-klinische Werturteile darüber, ob der Nutzen neuer Therapien die damit verbundenen Risiken potenziell schwerwiegender unerwünschter Ereignisse oder dem damit verbundenen Aufwand rechtfertigt. 

Solche gesellschaftlichen Werturteile werden traditionell von klinischen Experten*innen getroffen. Da jedoch die Patienten*innen diejenigen sind, die letztlich die positiven und negativen Behandlungsergebnisse erfahren, sind sich die meisten Entscheidungsträger*innen einig, dass Entscheidungen im Zusammenhang mit neuen Therapieoptionen patientenorientiert sein und die Werte der Patienten*innen widerspiegeln sollten.

An diesem Punkt setzt die Gesundheitspräferenzforschung an und liefert die für die Entscheidungen relevanten Informationen über die patientenseitigen Werturteile. 

Die Werturteile können in die Bildung eines Gesamtwertes zur Bewertung und Vergleich von Behandlungen neben der klinischen Wirksamkeit und dem Auftreten unerwünschter Ereignisse einbezogenen werden. Die Bewertung kann demnach patientenorientiert anhand der Werturteile erfolgen. Somit können (politische) Entscheidungsträger*innen nutzer- und nutzenorientiert verbessert werden.

 

Für weitere Informationen empfehlen wir Ihnen die folgende Literatur:

  1. Mühlbacher, A., Johnson, F.R. Choice Experiments to Quantify Preferences for Health and Healthcare: State of the Practice. Appl Health Econ Health Policy 14, 253–266 (2016). https://doi.org/10.1007/s40258-016-0232-7
  2. Craig, B.M., Lancsar, E., Mühlbacher, A.C. et al. Health Preference Research: An Overview. Patient 10, 507–510 (2017). https://doi.org/10.1007/s40271-017-0253-9
  3. Fischer, A., Labahn, G-S., Mühlbacher, A.C. Acceptance of Innovative Digital Technologies: A Literature Review of Acceptance Models With Focus on Patient Ac-ceptance in Healthcare. In Review.
  4. Mühlbacher, A. C., Zweifel, P., Kaczynski, A., & Johnson, F. R. (2015). Experimental measurement of preferences in health care using best-worst scaling (BWS): theoretical and statistical issues. Health Econ Rev, 6(1), 5.
  5. Mühlbacher, A. C., Kaczynski, A., & Zweifel, P. (2013). Experimentelle Präferenzmessung im Gesundheitswesen mit Hilfe von Best-Worst Scaling (BWS). PharmacoEconomics German Research Articles, 11(2), 101-117.
  6. Mühlbacher, A. C., Kaczynski, A., Zweifel, P., & Johnson, F. R. (2016). Experimental measurement of preferences in health and healthcare using best-worst scaling: an overview. Health economics review, 6(1), 1-14.

Ein Forschungsverbund mit Beteiligung der Universität und Universitätsmedizin Greifswald, Universität Rostock und Hochschule Neubrandenburg

Verbund-Koordinator

Prof. Dr. med. Thomas Platz
Universitätsmedizin Greifswald
AG Neurorehabilitation - E-BRAiN
Fleischmannstraße 44
17475 Greifswald

Ansprechpartner

Team der AG Neurorehabilitation
E-MAil: e-brain@med.uni-greifswald.de
Telefon: 03834 86-6966
Fax: 03834 86-6902

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