2022-02 E-BRAiN Newsletter – Motivation richtig dosieren

Aktuelle Forschungsinfo aus dem Institut für Psychologie der Universität Greifswald / Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie unter der Leitung von Prof. Dr. Alfons O. Hamm

Viel hilft viel – oder doch nicht? Über den Zusammenhang zwischen Motivation und der Performanz in der Neurorehabilitation

 

Motivation und Performanz

Motivation ist ein treibender Motor für den Erfolg eines jeden Trainings. Dies gilt auch und insbesondere für neurorehabilitative Trainings, wie Karl Lashley – einer der einflussreichsten Neurowissenschaftler des 20. Jahrhunderts – anhand einer seiner Fallstudien eindrucksvoll illustriert: Im Rahmen der Rehabilitation versuchte Lashley einem seiner Patienten das Alphabet erneut beizubringen, nachdem dieser nach einer starken Hirnschädigung nicht länger in der Lage war, selbiges zu erinnern. Nach 900 erfolglosen Versuchen änderte Lashley seine Strategie. Zusätzlich zur bloßen und recht eintönigen Trainingswiederholung wettete der Wissenschaftler mit seinem Patienten um 100 Zigaretten, dass dieser es nicht schaffen würde, das Alphabet innerhalb einer Woche zu lernen. Nach nur 10 Trainingsdurchgängen konnte der Patient das komplette Alphabet fehlerfrei erinnern. Offensichtlich hatte der simple motivationale Anreiz die Trainingsperformanz bedeutend gesteigert. Die Frage, die sich Psycholog:innen und Mediziner:innen daher stellen, ist: Wie genau hängen Motivation und Performanz zusammen und wie kann dieser Zusammenhang genutzt werden, um durch gezielte Veränderung der Motivation den Trainingserfolg zu begünstigen?

 

Das Yerkes-Dodson Gesetz

Viele von uns gehen intuitiv davon aus, dass ein linearer Zusammenhang zwischen Motivation und Performanz besteht. In anderen Worten: Je motivierter wir sind, desto besser sind wir bei der Durchführung einer bestimmten Aufgabe (linkes Panel der Abbildung 1). Nach dieser Sichtweise können Patient:innen also gar nicht motiviert genug sein, um optimale Rehabilitationseffekte zu erzielen.

Arbeiten von Robert Yerkes und John D. Dodson indizieren jedoch ein anderes Muster: Statt eines linearen Zusammenhangs gehen die beiden von einer umgekehrt-U-förmigen Beziehung zwischen Motivation und Performanz aus, sodass niedrige Motivation zwar weiterhin mit niedriger Leistung assoziiert ist, eine motivational-bedingte Leistungssteigerung jedoch nur bis zu einem mittleren Motivationsniveau möglich ist. Über diesen Punkt hinaus würde eine weitere Erhöhung der Motivation demnach nicht länger die Leistung verbessern, sondern eher verschlechtern. In anderen Worten: Sowohl fehlende Motivation, als auch Über-Motivation beeinträchtigen den Trainingserfolg (rechtes Panel der Abbildung 1) und nur ein mittleres Motivationsniveau bedingt einen optimalen Trainingserfolg. Die Grundlage dieses oft bestätigten Zusammenhangs wird in der Funktionsweise unseres Gehirns vermutet: Donald Hebb, der Vater der modernen Lernpsychologie, fand bereits in den 1950er Jahren heraus, dass neuronale Veränderungen, die dem Erfolg eines Trainings zugrunde liegen, nur bis zu einem mittleren Erregungsniveau begünstigt werden. Bei zu starker Erregung hingegen – z.B. durch Über-Motivation – werden neuronale Veränderungen vielmehr beeinträchtigt. Aufgrund der grundlegenden Relevanz und zahlreichen Bestätigung hat der umgekehrt-U-förmige Zusammenhang zwischen Erregung/Motivation und Trainingserfolg folglich als Yerkes-Dodson Gesetz Eingang in die Forschungsliteratur gefunden.

Abbildung 1. Hypothetische Zusammenhänge zwischen Motivation und Performanz.

Links: Linearer Zusammenhang der beiden Variablen (höhere Motivation à höhere Performanz). Rechts: Umgekehrt-U-förmiger Zusammenhang der beiden Variablen (niedrige und hohe Motivation à niedrige Performanz; mittlere Motivation à hohe Performanz).

 

Das Yerkes-Dodson Gesetz und die Neurorehabilitation

In der Tat unterstützen erste Daten aus der Beobachtungsstudie von E-BRAiN das Yerkes-Dodson Gesetz. Patient:innen mit niedriger oder sehr hoher Motivation schätzten die Trainingsfortschritte durch die rehabilitativen Maßnahmen subjektiv als gleichsam niedrig ein, während Patient:innen mit mittlerem Motivationsniveau den höchsten subjektiven Fortschritt durch die Therapie empfanden (linkes Panel der Abbildung 2). Selbiges gilt für den objektiven Trainingsfortschritt, gemessen anhand der Leistung der Patient:innen in standardisierten rehabilitativen Tests. Während niedrige und hohe Motivation hier mit niedrigem objektiven Therapieerfolg einherging, war ein mittleres Motivationsniveau mit der größten objektiven Leistungsverbesserung verbunden (rechtes Panel Abbildung 2). Die vorläufigen Daten unterstützen somit einen umgekehrt-U-förmigen Zusammenhang zwischen Motivation und neurorehabilitativen Therapieerfolg gegenüber einem linearen Zusammenhang. Für die neurorehabilitativen Robot-Assistenz, die im Rahmen von E-BRAiN entwickelt wird, könnte es also relevant sein, Motivation nicht nur gezielt zu erfassen, sondern mit Hilfe effektiver Interaktionsstrategien Motivation auf ein mittleres Niveau zu heben oder zu senken, um ggf. auch dadurch den Therapieerfolg zu optimieren.

Abbildung 2. Zusammenhang zwischen Motivation und Trainingsfortschritt.

Links: Zusammenhang zwischen Motivation und subjektivem Trainingsfortschritt. Rechts: Zusammenhang zwischen Motivation und objektivem Trainingsfortschritt. Die schwarze Linie zeigt den linearen Zusammenhang zwischen Motivation und Fortschritt an, während die farbige Kurve den angenommenen Zusammenhang zwischen Motivation und Trainingsfortschritt nach Yerkes-Dodson Gesetz illustriert.

Ein Forschungsverbund mit Beteiligung der Universität und Universitätsmedizin Greifswald, Universität Rostock und Hochschule Neubrandenburg

Verbund-Koordinator

Prof. Dr. med. Thomas Platz
Universitätsmedizin Greifswald
AG Neurorehabilitation - E-BRAiN
Fleischmannstraße 44
17475 Greifswald

Ansprechpartner

Team der AG Neurorehabilitation
E-MAil: e-brain@med.uni-greifswald.de
Telefon: 03834 86-6966
Fax: 03834 86-6902

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