2021-06 E-BRAiN Newsletter - „Ein Gesicht sagt mehr als tausend Worte – wie Roboter-Therapieassistenz durch einen Algorithmus zur Emotionserkennung verbessert werden könnte“

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit unserem sechsten Newsletter in 2021 wollen wir Sie über einige der aktuellen Forschungsarbeiten am Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie unter der Leitung von Prof. Dr. Alfons O. Hamm am Institut für Psychologie der Universität Greifswald informieren.

Darwin und die Emotionen

Charles Darwin wird den meisten von uns vor allem aufgrund des Buches: „Über die Entstehung der Arten“ bekannt sein.  Im Jahre 1859 legte er hier die Grundlagen der modernen Evolutionstheorie. Nur die wenigsten werden jedoch wissen, dass Darwin nicht nur ein äußerst einflussreicher Naturforscher, sondern ebenfalls einer der ersten biologischen Psychologen war. In seinem 1872 erschienenen Werk „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und bei den Tieren“ stellte er fest, dass Emotionen durch Gesichtsausdrücke ausgedrückt werden und in vielen Teilen der Welt dieser Emotionsausdruck ähnlich ist. Freude wird beispielsweise durch ein Lächeln, Angst durch Runzeln der Stirn bei weit geöffneten Augen ausgedrückt. Als er dann beobachtete, dass sich solche Muster der mimischen Emotionsäußerung schon bei Neugeborenen und in ähnlicher Form selbst bei Primaten finden lassen (Abbildung 1), stellte er die Hypothese auf, dass die Gesichtsausdrücke der Emotionen keineswegs erlernte Muster, sondern vielmehr angeborene motorische Programme zur Kommunikation mit Artgenossen sind, die sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen haben.

Abbildung 1. Ausdruck von Freude (links)1 und Enttäuschung (rechts)2 im Tierreich

 

Motivationale Organisation von Emotionsausdrücken

140 Jahre nach Darwins Überlegungen geht auch die aktuelle Biopsychologie davon aus, dass die Mimik ein relevanter Transporteur von Informationen über unsere emotionalen Zustände ist. Dabei sind positive Emotionen, wie Freude, mit einer Annäherungstendenz und negative Emotionen, wie Furcht, mit einer Abwehrtendenz verbunden. Beispielsweise rümpfen wir instinktiv die Nase, wenn wir uns ekeln und verringern so den Durchmesser der Nasenlöcher, um die unangenehmen Gerüche von uns fern zu halten. In gleicher Weise ziehen wir die Augenbrauen bei emotional unangenehmen Reizen zusammen. Diese minimalen mimischen Reaktionen kann man heute mit Hilfe elektromyographischen Messungen der Gesichtsmuskeln erfassen. Beim Betrachten von Bildern steigt die Aktivität des Musculus corrugator supercilii – der Muskel, der die Augenbrauen zusammenzieht und uns das Stirnrunzeln ermöglicht – bei zunehmend unangenehmeren Reizen linear an (oder wie in Abbildung 2 dargestellt nimmt die Aktivität linear ab, je angenehmer der Reiz wird). Misst man dagegen die Aktivität des Musculus zygomaticus major  – der Muskel, der die Mundwinkel beim Lächeln hebt ­– auf die gleichen Bilder, findet sich ein völlig anderer Verlauf. Hier nimmt die Aktivität des Muskels zu, je angenehmer die Reize werden – mit einer Ausnahme. Sehr unangenehme Reize lösen sowohl eine verstärkte Aktivität des m. zygomaticus und des m. corrugator aus. Dieser Gesichtsausdruck – das sog. Grimassieren – ist typisch, wenn wir einen starken Schmerz erleben. Wenn wir sehr unangenehme Reize sehen oder hören (z.B. das Quietschen einer Gabel auf einem Porzellanteller) zeigen wir dieses Schmerzgesicht. Unser Gesicht ist also ein offenes Buch unserer Emotionen, zumindest dann, wenn wir unsere Emotionen nicht gezielt verbergen wollen. Daher ist es auch möglich, aus dem Gesichtsausdruck eines Menschen seine emotionalen Zustände abzulesen. „Du siehst heute so enttäuscht aus, was war los?“ Diese Fähigkeit des „Emotionslesens“ anhand von Mimik und auch Gestik ist natürlich in einem therapeutischen Rahmen besonders wichtig, da es für den Aufbau einer einfühlsamen therapeutischen Allianz existentiell ist. 

Abbildung 2. Smileys und Frownies zeigen klar unterscheidbare mimische Ausdrücke (oben). Je negativer unser affektiver Zustand ist, desto stärker nutzen wir unsere Muskeln zum Stirnrunzeln (links), je positiver unser affektiver Zustand ist, desto stärker nutzen wir unsere Wangenmuskeln zum Lächeln (rechts; Abbildungen nach Lang et al., 1993).

Emotionserkennung in Therapie und Roboter-Assistenz in der Neurorehabilitation

Ganz instinktiv thematisieren Therapeutinnen und Therapeuten die Emotionen der Patientinnen und Patienten anhand der Anzeichen ihrer Mimik und Gestik, wodurch diese sich deutlich besser in ihrem Erleben verstanden fühlen und die Therapie eher als etwas Nützliches wahrnehmen. Ein Roboter-Therapie-Assistent, der die Emotionen der Patienten korrekt erkennen und thematisieren kann, könnte demnach eine bessere Beziehung zu den Patientinnen und Patienten aufbauen und damit die Therapie verbessern. Wie oben beschrieben, reicht es dafür schon aus, vor allem zwei Gesichtsmuskeln zu beobachten: den Corrugator supercilii und den Zygomaticus major. Während eine stärkere Aktivität des erstgenannten einen negativen emotionalen Zustand signalisiert, drückt der zweite eher einen postiven Affekt aus. Obgleich insbesondere in der Neurorehabilitation nach Schlaganfällen Emotionsausdrücke aufgrund häufig assoziierter Lähmungen der Gesichtsmuskulatur schwerer zu interpretieren sind, könnte ein Emotions-Erkennungsprogramm somit möglicherweise die „therapeutische Beziehung“ zwischen Therapieassistent und Patient verbessern und zu einem größeren Erfolg der Neurorehabilitation beitragen.  

Ein Forschungsverbund mit Beteiligung der Universität und Universitätsmedizin Greifswald, Universität Rostock und Hochschule Neubrandenburg

Verbund-Koordinator

Prof. Dr. med. Thomas Platz
Universitätsmedizin Greifswald
AG Neurorehabilitation - E-BRAiN
Fleischmannstraße 44
17475 Greifswald

Ansprechpartner

Team der AG Neurorehabilitation
E-MAil: e-brain@med.uni-greifswald.de
Telefon: 03834 86-6966
Fax: 03834 86-6902

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